Erwin Wurm

Double doubt (Neuroses), 2023, Aluminium, 210 x 100 x 35 cm Courtesy KÖNIG GALERIE, Berlin Bildcredit: Erwin Wurm, Bildrechte Wien, 2024 Foto: Markus Gradwohl, Wien

(Geboren 1954 in Bruck an der Mur, lebt und arbeitet in Wien und Limberg, Niederösterreich) studierte von 1974 bis 1977 Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Graz, 1977 bis 1979 Kunst- und Werkerziehung (Bildhauerei) an der Hochschule für darstellende Kunst, Salzburg und von 1979 bis 1982 Gestaltungslehre (Bildhauerei) an der Hochschule für angewandte Kunst (heute: die Angewandte), Wien, bei Prof. Bazon Brock. 1983 Abschluss des Studiums mit Magister artium (M.A.). 

Seit Jahrzehnten treibt Erwin Wurm eine Kernfrage um: Wie könnte die Idee des Skulpturalen genutzt werden, um den Alltag und unsere Zeit zu verarbeiten, um eine neue Perspektive oder zumindest eine neue Interpretationsmöglichkeit zu gewinnen? Im Laufe seiner Karriere hat Erwin Wurm seine Vorstellungen von Skulptur, Raum und menschlicher Form zunehmend in verschiedene Richtungen radikalisiert und erweitert. Seine Skulpturen bewegen sich zwischen Abstraktion und Vereinfachung, figürlicher Vergröberung, Ausdünnung, Verdickung, kurz: des Spiels mit dem Nichtvorhersehbaren. Slapstick und Absurdität sind Teil dieses Werkdramas und potente Strategien der gesellschaftskritischen Beobachtung. Im Prinzip ist bei diesem Künstler alles „Skulptur“, was er konzipiert, weil er das Skulpturale mit dem Sozialen zusammendenkt, um politische Apathie und Konsumzwänge zu kritisieren. Wurm unterscheidet voneinander „Außenraumskulptur“, „Kleidungsskulptur“, „Trinkskulptur“, „Flächenskulptur“ (im Prinzip Malerei), „Fotografische Skulptur“, „Textskulptur“, „Staubskulptur“, „Videoskulptur“. In einer Parallelspur dazu fertigt er Zeichnungen an. Zu seinen „Performativen Skulpturen“, gemeint sind „skulpturale Gesten“, zählen die „One Minute Sculptures“, die ihn schlagartig weltbekannt gemacht haben. Hierbei handelt es sich um Arbeiten, die den Begriff der Skulptur als dauerhafte Kunstform untergraben und den Betrachter einladen, mit den bereitgestellten Requisiten – etwa Haushaltsgegenständen - ein ephemeres Werk nach den Anweisungen des Künstlers zu inszenieren. Wurm hat oft gesagt, er sei kein Humorist, und in der Tat scheint die Albernheit der Posen einen kulturellen und historischen Pessimismus zu kaschieren, in dem die Verrenkungen der Akteure - etwa eine Frau, die einen Eimer auf dem Kopf balanciert, oder ein Mann, der Stifte, einen Hefter und Filmdosen in Mund, Nasenlöcher, Ohren und Augenhöhlen gestopft hat - an die moralische und intellektuelle Akrobatik erinnern, die eine Gesellschaft betreibt, um den Schein zu wahren. Zum Unbehagen einiger Teilnehmer, die im Scherz beginnen und sich plötzlich auf dem Präsentierteller wiederfinden, kehren die Arbeiten die Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk um; in ihrer Dynamik zwischen Sehen und Gesehenwerden stellen sie Fragen nach persönlicher Verantwortung und Sichtbarkeit.

Im repräsentativsten Raum des Schlosses werden die Besucher von Erwin Wurms „Double doubt (Neuroses)“ empfangen, einer beschwingt extravaganten Skulptur, die als absonderliche, ja kauzige Reflexion der menschlichen Psyche interpretiert werden kann.